Lassen Sie uns als Erstes mit der unangenehmen Wahrheit herausrücken, dass man sich in einem autofiktionalen Werk manchmal nur schwierig zurechtfindet. Zunächst einmal hat Autofiktion die literarische Gemeinschaft gespalten – einige halten sie für ein völlig überflüssiges Genre (Schreibcoach Brooke Warner schrieb letztes Jahr in Publishers Weekly, dass es sich um ein Etikett handele, das für die Branche ohne Bedeutung sei); andere finden sie faszinierend. Zudem ist sie nur ziemlich schwer zu definieren.
Die Definitionen sind sogar so unterschiedlich, dass die Schriftstellerin Walker Caplan vor kurzem auf der literarischen Website LitHub in einem augenzwinkernden Artikel „10 neue Definitionen von Autofiktion“ aufführte. Dort ist beispielsweise zu lesen: „Cars ist Autofiktion, da die meisten seiner Geschehnisse Owen Wilson zugestoßen sind.“
Um eine ernsthaftere Definition von Autofiktion zu erhalten, wenden sich die meisten den Werken von Serge Doubrovsky zu, der den Ausdruck 1977 erdachte, während er versuchte, die Denkweise hinter seinem Roman „Fils“ zu erklären. Päivi Koivisto, Literaturwissenschaftlerin und Verlagsleiterin in einem finnischen Verlagshaus, Teos, ist eine von vielen, die Doubrovskys Definition im Wesentlichen zustimmen.
„Im Moment denken die meisten finnischen JournalistInnen, wenn sie über Autofiktion schreiben, dass sie jeden Roman bedeutet, der etwas aus dem Leben der Autorin bzw. des Autors enthält, dass sie im Grunde ein autobiografischer Roman ist“, erklärt sie. „Als Literaturwissenschaftlerin sehe ich es aber ein bisschen komplizierter.“
Doubrovskys Definition, erklärt sie, legt nahe, dass mehrere Dinge zutreffen müssen, damit ein literarisches Werk in das Genre Autofiktion passt.
1) AutorIn und ProtagonistIn/ErzählerIn müssen denselben Namen haben. In Fällen, wo durchgängig das Wort „ich“ anstelle eines Namens verwendet wird, akzeptieren einige LiteraturkritikerInnen das Werk als Autofiktion, wenn die Autorin bzw. der Autor über Hinweise innerhalb des Textes als ErzählerIn identifiziert werden kann.
2) Die in dem Buch erzählte Geschichte ist etwas, das der Autorin/dem Autor tatsächlich zugestoßen ist.
Nummer 2 wirft eine offensichtliche Frage auf: Wenn es der Autorin/dem Autor passiert ist, warum wird es dann als Roman verkauft und vermarktet? Die Antwort besteht laut Koivisto darin, dass es allgemein akzeptiert wird, dass autofiktionale Werke einige Elemente enthalten, die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen müssen. So ist es beispielweise unmöglich, authentische Dialoge aus der Vergangenheit zu zitieren, sodass sich SchriftstellerInnen auf eine Mischung von Erinnerung und Imagination stützen.
Darüber hinaus enthalten autofiktionale Romane tendenziell andere Dinge, denen man in Autobiografien üblicherweise nicht begegnet.
„Das Erste ist die Sprache“, merkt Koivisto an. „Doubrovsky sagt, dass VerfasserInnen von Autofiktion lyrisch schreiben und Metaphern sowie weitere Techniken einsetzen sollten, im Grunde also die Sprache als Werkzeug verwenden sollten, damit die Geschichte Vorstellungen heraufbeschwört und alle möglichen Assoziationen weckt.“
Das Zweite ist, dass sich bei der Chronologie künstlerische Freiheiten herausgenommen werden dürfen. „Du kannst entscheiden, wie du die Ereignisse in der Geschichte anordnen willst“, sagt Koivisto. „Doubrovsky – der gemäß seinen eigenen Regeln das erste autofiktionale Werk verfasst hat – schrieb zum Beispiel über einen imaginären Tag. Es gab keinen solchen Tag in seinem eigenen Leben, aber er setzte ihn schöpferisch aus Situationen zusammen, die er wirklich erlebt hatte.“
Ein Mantel der Unbesiegbarkeit für SchriftstellerInnen
Autofiktion ist nicht nur für das Lesepublikum ein faszinierendes Konzept – „Wenn du siehst, dass es ein Roman ist, aber ProtagonistIn und AutorIn denselben Namen haben, verstehst du, dass hier etwas passiert, das ein wenig anders ist als sonst“, erklärt Koivisto –, sondern auch für AutorInnen kann es etwas Besonderes bieten.
„Autofiktion ermöglicht ihnen, über intime, sensible, persönliche Erfahrungen zu schreiben, die möglicherweise bloßstellende und demütigende Kommentare nach sich ziehen“, berichtet Koivisto. Insbesondere für viele AutorInnen, die marginalisiert wurden – beispielsweise aufgrund ihrer Ethnie oder ihrer Sexualität –, ist das Genre attraktiv.
Für sie ist es lebenswichtig, dass die Erzählung in realen Erfahrungen wurzelt – Bloßstellung, Rassismus, Ausgrenzung –, aber wie Koivisto sagt „kann man die Grenzen der Wahrheit niemals genau feststellen.“ Als Resultat fungiert Fiktion als Schutzschild gegen ein feindseliges Lesepublikum und dessen abschätzige Interpretationen.
Nicht allen gefällt jedoch diese Verwischung der Linie zwischen Wahrheit und Fiktion. So sagte beispielsweise der verstorbene Literaturkritiker Gérard Genette, dass Autofiktion wie von Doubrovsky definiert von SchriftstellerInnen verwendet wurde, die unangenehme Dinge über ihren Freundeskreis und ihre Verwandtschaft enthüllen wollten und, um Gerichtsverfahren zu vermeiden, das, was offenkundig eine Autobiografie war, als Autofiktion ausgaben.
Genette betrachtete Autofiktion, wenn sie korrekt interpretiert wird, als ein Werk, in dem alles fiktiv ist – aber AutorIn und ProtagonistIn denselben Namen haben.
Für Koivisto liegt Autofiktion irgendwo zwischen den beiden – und sie hat aus erster Hand erfahren, wie attraktiv das Genre für AutorInnen sein kann, die über Dinge schreiben wollen, über die es sich nur schwer schreiben lässt. „Das ist sogar etwas, das ich in Kursen unterrichtet habe“, erzählt sie, „und die AutorInnen, denen ich es erklärte, sahen es definitiv als eine Art Schutzschild. In vieler Hinsicht gibt es dir einfach ein sichereres Gefühl, wenn du ein bisschen Fiktion einstreust.“
Ein Trend, den es zu probieren gilt
Bei aller Furore und der Verwirrung, die sie gestiftet hat, sieht es so aus, als würde Autofiktion nicht so schnell aus der Mode kommen. Koivistos Verlag hat dieses Jahr ein Buch des finnischen Schriftstellers Ossi Nyman mit dem Titel Häpeärauha (frei übersetzt etwa: „Schändlicher Frieden“) veröffentlicht, den letzten Teil seiner autofiktionalen Trilogie. Es werden auch mehr Kurse über Autofiktion angeboten. So hat zum Beispiel Masterclass, das Online-Unterrichtsportal, in dem Größen des Fachs wie Gordon Ramsay bis Martin Scorsese ihr Wissen teilen, einen Autofiktionskurs in seinen Lehrplan aufgenommen, um Neulinge auf den aktuellen Stand zu bringen.
Für die Leserschaft ist es eine Chance, etwas anderes zu probieren. Und Autofiktion ist durchaus kein so eng gefasstes Genre, wie es zunächst klingen mag.
„Ein Buch kann sich stark von einem anderen unterscheiden“, berichtet Koivisto. „Einige legen den Fokus auf die Handlung und sind sehr unterhaltsam, andere sind etwas anspruchsvollere Lektüre, mit fragmentierter oder überhaupt keiner Erzählung, zusammen mit symbolischer und assoziativer Sprache.“
Kurz gesagt gibt es also autofiktionale Romane für jeden Geschmack. Ein Teil des Reizes besteht darin, durch Ausprobieren das passende Buch zu finden.
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